Abschiebungen nach Italien
Nachdem die unmenschliche Lebens- und Wohnsituation für Asylbewerber in Italien in den letzten Monaten bereits vom Bundesverfassungsgericht kritisch betrachtet wurde, hat nunmehr der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (im Folgenden: „EGMR“) mit Urteil vom 04.11.2014, Nr. 29217/12, „Tarakhel vs. Schweiz“, entschieden, dass Asylbewerber im „Dublin-Verfahren“ nur nach Italien zurückgeschickt werden dürfen, wenn die italienischen Behörden den Behörden des ersuchenden Staates eine menschenwürdige Unterbringung der Asylbewerber im individuellen Fall garantiert hat. Dabei ist zu beachten, dass es sich in dem Fall Tarakhel vs. Schweiz um eine Familie mit minderjährigen Kindern handelte. Daher hat der EGMR auch einzig die Situation von einer Familie mit minderjährigen Kindern entschieden. Als tragende Argumente führte der EGMR genauso wie schon zuvor das BVerfG das „Kindeswohl“ und das Recht auf „Familieneinheit“ an.
Danach sollten sich Asylbewerber, deren Asylanträge in Deutschland als unzulässig abgelehnt worden sind und deren Abschiebung nach Italien angeordnet worden ist, unbedingt unverzüglich nach Erhalt des Bescheides (gelber Umschlag!) rechtliche Beratung einholen. Denn die Chancen erfolgreich Rechtsmittel einlegen zu können stehen derzeit sehr gut. Dabei ist jedoch zu beachten, dass dies vordringlich nur für Familien mit minderjährigen Kindern gilt, da die Argumente des EGMR nicht ohne weiteres auf ledige Erwachsene übertragbar sind. Allerdings kann sich auch für solche im Einzelfall das Einlegen von Rechtsmitteln als sinnvoll erweisen. Eine gute anwaltliche Beratung sollte daher unbedingt auch in diesen Fällen in Anspruch genommen werden.
Weiterhin ist das Urteil des EGMR auch ein Fingerzeig bezüglich anderer Staaten, in denen die Lebens- und Unterbringungssituation von Asylbewerber kritisch zu sehen ist. Dies trifft vor allem auf Ungarn und Bulgarien zu, aber auch in den Niederlanden und in Belgien lassen sich ernste Probleme beobachten.
Frederek Freckmann
Rechtsanwalt